| Thomas Glavinic war zu Besuch am MGM
| „Ich spinne nicht – das heißt, ich spinne schon manchmal, aber hier nicht.“
„Stell dir vor, du hast drei Wünsche frei!“ –
Nichts vermag die Phantasie so blitzartig zu entzünden, wie diese harmlose Aufforderung aus vertrauten Kinderzeiten. In den buntesten Farben wird das eigene Leben in Windeseile ausgemalt, alles in Gedanken ergänzt, wovon man glaubt, es schon lange zu vermissen.
Das Leben der Wünsche von Thomas Glavinic beginnt so und könnte eben deshalb ein Buch sein, das jene Phantasien von einem glücklichen und gelungenen Leben zu befeuern hilft. Aber schnell wird bei der Lesung an diesem Abend deutlich: Der Text sperrt sich auf seltsame Art gegen eine solche märchenhafte Auslegung, und teils enttäuscht, teils überrascht meint man eine gewisse Ernsthaftigkeit beim ersten Teil der diesjährigen Autorenlesung in der Turnhalle des MGMs spüren zu können. Doch schon das bloße Hinhören auf diesen ausgeprägten österreichischen Dialekt bereitet so viel stilles Vergnügen, dass ein Kippen der Stimmung nicht ernsthaft zu befürchten ist.
Der Lebenskunst im weitesten Sinne sind mindestens zwei Bücher Thomas Glavinic explizit verpflichtet: Wie man leben soll und eben jenes besagte Das Leben der Wünsche. Mal kommt das große Thema vom Gelingen des Lebens witzig-pubertär, mal eher hintergründig-dunkel daher. Von verarbeiteten Nah-Tod-Erfahrungen wird Glavinic später einzelnen Leitungskurs-Schülern in der Küche erzählen.
Als Thomas Glavinic sich an diesem Abend dann so gegen 23.00 Uhr von uns im noch immer gut gefüllten Lehrerzimmer verabschiedet, hat er bereits eine fast eineinhalbstündige Lesung samt Frage- und Signierrunde hinter sich gebracht und dabei auf der Bühne fast eine Flasche Wein geleert. Nein, mit der daueralkoholisierten Figur seines Romans Das bin doch ich habe er nichts zu tun, außer, dass er sie erfunden habe; zufällig trage sie halt seinen Namen; man wird doch nicht den Fehler begehen, Autor und Figur zu verwechseln? Das erscheint manchem mit Blick auf die fast leere Weinflasche auf dm Lesepult nicht gleich so einleuchtend wie Herrn Glavinic selbst, lässt aber bei einigen Lehrer-Kollegen schon mal das Verlangen entstehen, diese Persönlichkeitsspaltung bei der Herausgabe der nächsten Schulaufgabe ernsthaft in Betracht zu ziehen. Lebenshilft in diesem Fall leistet da ein Blick in die Ordensregeln des 1. Benedikt aus dem fünften Jahrhundert: „Indessen glauben wir mit Rücksicht auf die Unzulänglichkeit der Schwachen, dass ein Viertelliter Wein für jeden täglich reichen sollte“.
Ungläubiges Staunen im Gesicht eines fragenden Schülers hingegen hinterlässt die Antwort auf seine Frage nach des Autors täglichen Arbeitspensums: zwei Seiten. „Naa, i denk, do gibt’s Schlimmeres, oda“ – in breitestem Österreichisch natürlich. Für einige Schüler scheint dies im Hinblick auf die bevorstehende Facharbeit allerdings bereits die schlimmste aller möglichen Vorstellungen zu sein. Dankbar wird dafür der praktische Hinweis aufgenommen, niemals am Ende eines Kapitels die Arbeit abzubrechen, der nächste Tag würde ein solches Verhalten grausam rächen.
Glavinics Lektorin drängt einige Weinflaschen später zum endgültigen Aufbruch mit dem Hinweis, dass schließlich auch Friedrich Ani schon längst mit seiner Lesung in den Fünf Höfen fertig sei und mit dem Rest der Hanser-Crew bereits im Franziskaner warte. So schließt sich also der Kreis, denke ich bei mir, denn wie bei Friedrich Ani im letzten Jahr, so bleibt mir auch dieses Jahr beim letzten Händeschütteln mit Herrn Glavinic im Lehrerzimmer der Eindruck zurück, einer Art Zwischenwesen begegnet zu sein: einerseits gemütlicher Mensch, der die wunderbaren Häppchen von Brigitte Fischer genauso zu schätzen weiß wie wir, respektive den guten Weißwein, andererseits Phantom, der mit seinen Protagonisten unter einer für die meisten Zuhörer nicht zu durchschauenden Decke steckt. Der Handschlag ist fest, der Blick überraschenderweise auch, die Frage nach der Art der Freundschaft mit dem Schriftsteller-Kollegen Daniel Kehlmann schießt mir wieder kurz durch den Kopf, wird aber sofort wieder verworfen, schließlich möchte ich es auf eine abschließende Blamage nicht ankommen lassen, mich vom Ehrengast mitleidig aufklären lassen zu müssen über den Unterschied zwischen Realität und Fiktion, in nettestem Österreichisch, versteht sich!
Bei der Fragerunde nach der Lesung werden an diesem Abend aber doch noch einige handfeste Antworten geliefert; wenigstens zur Zufriedenheit vieler Glavinic-Fans wird z.B. der Name des „größten Starautors der westlichen Welt“ gelüftet (laut Glavinic ist dies Jonathan Franzen),auch wenn des Rätsels Lösung dann unter den meist jungen Lesern und Leserinnen nicht die Resonanz entfacht, wie man es erwartet hätte.
Für meine Hobby-Autoren der leidigen Facharbeit dürfte wohl auch die Arbeitsweise Glavinics eine ewige Wunschvorstellung bleiben, nämlich erst dann das Schreiben zu beginnen, wenn die Geschichte fertig im Kopf existiert. Schon viel leichter ist da seine Schilderung nachzuvollziehen, dass seine Sätze mit Kopfhörer und lauter Musik niedergeschrieben werden.
Hätte man drei Wünsche frei, käme man wohl erst nach langem Nachdenken auf die Idee, das Lebensglück vollkommen zu wähnen, wenn man ein erfolgreicher Schriftsteller sein dürfte. Thomas Glavinic hat sich, seinen Aussagen nach, zumindest diesen Wunsch schon erfüllt, wir übrigen können uns ja währenddessen an den Philosophen Platin halten: „Das ist das Leben der Götter und des göttlichen, glückseligen Menschen: Befreiung von allem anderen, Hiesigen; ein Leben frei von Lust am Hiesigen; Flucht, allein zu ihm allein“. Oder dann doch lieber Schriftsteller?
Ein herzliches Dankeschön der AG-Technik für die perfekte Gestaltung des Abends und auch dem Redaktionsteam, das eine Textsammlung für die Vorbereitung der Lesung im Unterricht zusammengestellt hat: Frau Douglas-Kloninger, Frau Farallo, Frau Gruber, Frau Grunert, Frau Jürgens, Frau Kneer, Frau Kunder, Frau Pfefferkorn, Frau Dr. Schürmann und Herrn Schumertl. Herzlichen Dank für die viele zusätzlich geleistete Arbeit, ohne die ein solches Großprojekt nicht denkbar ist.
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